Auszüge aus dem Buch
Der Blick aus dem Schiff
Ich werde den Blick aus dem Bauch des Schiffes in dieses Türkis nie vergessen. Ich weiß bis heute nicht, warum klar war, dass ich da raus musste, dieses Wassersehen, von Nahem. Ich habe es dann getan, weil es mich magisch angezogen hat.
Es handelte sich um die Cayman Islands. Die Inseln mit der vielleicht größten Ballung von Großkapital auf der Steuerflucht, massiv unterstützt von der Politik. Jede ihrer Handlungen hilft den Leuten, die hier ihr - nein unser - Geld untergebracht haben. Man kann das leicht nachprüfen. Nur der Deutsche rechnet zwar Telefonrechnungen durch, nicht aber die Handlungen von oben.
Selbstverständlich habe ich das alles ganz schnell vergessen, als ich das Wasser sah. Meine Faszination trieb mich hinaus, obwohl ich an diesem Tag noch überlegte, ob ich wieder eine Tour mitmachen sollte. Ich hatte in den zwei Wochen, die ich zur Arbeit auf dem deutschen Kreuzfahrtschiff verbrachte, jede Tour mitgemacht. Jede, weil es eine Entdeckung war. Eine tolle Entdeckung, und so sollte es heute weiter gehen.
Aus dem Bauch des Schiffes mit der Fähre, dem kleinen Boot, hinaus in das grüne, grüne Wasser! Gott, das werde ich nie vergessen! Diese Farbe zieht einen an, das ist alles!
Ich machte also rüber auf die Insel und kam dann irgendwann, irgendwie zum Strand. Der perfekte Strand, einfach perfekt! Leicht abfallend, Kokospalmen darüber, sehr angenehme Luft und Temperatur, und der Meeresboden, dieser unglaublich schöne Kalksteinton, aus dem fast ganz Frankreich besteht. Hier war er sehr hell, sonnenbeschienen, wie im Aquarium.
Als ich tauchte, sah ich diese helle, schöne Farbe, dieses Crème, noch besser! Jeder Stein war so lieblich mit diesem feinen Kalksteinstaub bedeckt.
Scheinbar unspektakulär und mit nur wenig Getier, war dieser Meeresboden doch einer der schönsten Anblicke, die ich je gesehen hatte, weil hier alles stimmte.
Und da war sie wieder, diese afrikanische Faszination! Das Klischee fand seinen Weg zu mir, und ich hatte in den letzten fünfzehn Jahren gelernt, es nicht mehr von der Bettkante zu stossen, sondern heftig mit ihm zu kopulieren. Natürlich im übertragenen Sinn.
Der Kokosnussmann kam heran und wäre fast an mir vorbei gegangen, als ich kapiert hatte, dass das die Möglichkeit brachte, aus einer Kokosnuss zu trinken. Etwas, wovon ich immer geträumt hatte, ohne es zu wissen.
Ich sprach ihn an - er wunderte sich wohl, dass er mich nicht herumzukriegen brauchte, und dann bereitete er mit seiner Machete die Kokosnuss aus dem Stand für mich zu. Und ich trank.
Genauso ritt ich ein anderes Klischee ab und aß im Strandrestaurant.
Dort kam ich ins Gespräch mit einer Farbigen und wir tauschten Emailadressen. Ich habe nie etwas von ihr gehört. Sie auch nicht von mir, aber ich denke, das ist so in Ordnung. Es war einfach schön, ihr hier zu begegnen.
Belizé hatte mich schon derart aus der Fassung gerissen, dass ich Dinge tat, die man als weißer Tourist normalerweise nicht tut. Erst vor kurzem habe ich das Konzentrat für eine Hühnchenzubereitung weggeworfen, sicher sehr scharf und viel besser als das Essen auf dem Schiff, das doch, wie immer, der deutschen Maxime folgte, dass erst einmal der Teller voll sein müsse. Dementsprechend sahen die Leute auf dem Schiff auch aus. Und eben nicht die Bewohner des tropischen Gürtels.
Es war für mich so spannend festzustellen, dass sie auf diesem Gürtel hin und her reisen, immer auf dieser Höhe. Manchmal sind die Distanzen schon ganz schön lang, allein schon über den Golf von Mexiko sind es mehrere tausend Kilometer, aber sie schaffen das, wenn sie wollen, auch bei kleinem Budget.
Ich hatte vorher keine Kenntnis von dieser eigenen Welt gehabt, ein eigener Kosmos, wie man spüren konnte, und auch erfahren, wenn man mit den Leuten redete, was ich ja gerade tat. Das Schiff hatte in der Dominikanischen Republik und Jamaika begonnen und ist erst einmal nach Cozumel in Mexiko gelangt. Von dort fuhr es praktisch die ganzen zwei Wochen auf diesem tropischen Gürtel entlang, bis hin zu den Antillen. Danach hätte man den Sprung übers Meer machen müssen, den ich ein Jahr später dann auch machte, auf die Kapverdischen Inseln, fast schon nach Schwarzafrika.
Es ist ein "schwarzer Gürtel", der sich praktisch um den ganzen Globus zieht. Wissenschaftler werden mir böse sein, wenn ich auch die Polynesier dazu zähle. Aber sie ähneln den Schwarzen doch ganz erheblich, die Indianer, die "von rechts" über den Pazifik gesprungen sind, von Insel zu Insel. Bei ihrem Marsch durch die 20.000 Jahre vom Herzen Afrikas über den amerikanischen Kontinent bis nach Tahiti hat sich doch ganz schön viel erhalten.
Die Kommunikation und das Reisen finden für die Schwarzen praktisch nur in diesem Gürtel statt, und sie kennen eigentlich keine Grenzen. Die afrikanische Küche ähnelt sich (auch hier wird man mir böse sein), ich kann große Ähnlichkeiten zwischen der Hühnchenzubereitung in Belizé und der in Kamerun erkennen. Es ist immer Huhn mit Reis und dann das Gemüse des Landes dazu. Das ist ein Gericht, das man praktisch überall findet. Von Belizé bis Fort de France. Dort habe ich es kurz vor dem Karnevalsumzug gegessen. Es hat mir sogar angesichts der Ereignisse, in denen ich steckte, geschmeckt.
Ich sagte, sie kennen keine Grenzen. Das stimmt nicht ganz, denn man lässt sie auch nicht so leicht aus ihrem Gürtel heraus, wie ich ja leidvoll erfahren durfte. Es bleibt ihnen deswegen auch nicht viel übrig, als sich auf diesem Gürtel zu bewegen.
Man findet sie über den ganzen Golf von Mexiko springend, von Insel zu Insel, mal hier, mal dort lebend, auch in Schwarzafrika wandern sie gerne von einem Land zum anderen. Ich habe viele kennengelernt, die sich durch ein paar der folgenden Länder bewegt haben: Senegal, Benin, Togo, Côte D'ivoire, Kamerun, Ghana, Südafrika und noch mehrere andere.
Aber die Antillen wären das bisherige Ende der Abreise des Gürtels, und ich gehe wieder zurück zum Anfang: Cozumel.
Der Botschaftsangestellte
Den Botschaftsangestellten hatte ich ja bereits anlässlich der Betrügereien kennengelernt. Der Botschaftsangestellte kümmerte sich damals rührend um mich und klärte mich auf, wie ich die Betrügereien erkennen konnte.
Damals hatte ich seine Internetadresse bekommen und setze mich mit ihm in Verbindung, als ich mein Vorhaben plante, nach Abidjan zu fahren, um meine neue Freundin nicht nur per Video, sondern auch in der Realität zu sehen. Ich übersandte ihren Ausweis und natürlich zeigte er sich skeptisch, half mir aber sehr sorgsam auch bei den Details. Als meine Eltern und Freunde kurz vor der Abfahrt ausrasteten, da half er mir auch. Ich konnte, wie gesagt, im Gästehaus der Botschaft wohnen.
Das hatte sich in Normalität gewandelt, und ich wollte das auch demonstrieren, indem wir, meine Freundin und ich, ihn zum Essen einluden. Er sagte auch zu.
Wir bereiteten das vor, bauten schön den Tisch im Zimmer direkt vor dem Balkon auf, um eine gute Aussicht zu haben, und dann kochte sie, mit meiner Assistenz. Sie konnte gut kochen, schließlich war sie Künstlerin, und die meisten Künstler wissen gutes Essen und Trinken zu schätzen. Oft müssen sie dann selbst kochen, weil andere ihre Qualitätsansprüche nicht treffen.
Der Botschaftsangestellte holte mich irgendwo in der Stadt ab, und wir fuhren gemeinsam zu ihr. Wir aßen verschiedene Gänge, den Hauptgang mit Hühnchen, wie er hier oft gegessen wird, und dann musste sie wieder in die Küche.
Wir hatten uns angeregt zu dritt unterhalten, und ein paar Minuten waren wir unter uns Männern. Wir kannten uns schließlich schon ein paar Monate lang per Email.
Ich hatte ihn einmal gefragt, was seine Tätigkeit hier war. Er war schon drei Jahre hier, fuhr einen der großen Allradwagen, die man immer schon für Jagd oder Safari baute, und er war unverheiratet. Das wollte er auch bleiben.
Er wollte sich durch eine Beziehung nicht mehr stören lassen. Das hatte er mir während der Fahrt erklärt. Mir schien eher, dass er mit seinen Gefühlen nicht zurecht kam und eine weitere Begegnung mit diesen Gefühlen einfach vermeiden wollte, wie es viele Deutsche tun, weil Gefühle in Deutschland nicht wirklich einen Platz finden, sich richtig zu entwickeln.
Er hatte eine gute Stelle inne, und seine Aufgabe war es oft, die Deutschen hier aus der Gosse zu ziehen, die es gewagt hatten, den Fuß unvorbereitet hier hinein zu setzen. Dementsprechend negativ war sein Weltbild. Viele Leute nehmen einfach nicht wahr, dass die Welt nicht schlecht sein muss, bloß, weil sie öfters den Abfall wegräumen müssen oder den Mist aufräumen, den andere anrichten.
Wir sprachen also unter uns, und auf einmal sagte er zu mir: "Sie wissen ja, wie das zu Stande kommt?" - "Wie meinen Sie?" fragte ich.
Ihn hatte es schon beeindruckt, wie gut das Appartement ausgestattet war, und dass es jedem Vergleich mit einem guten deutschen Appartement in einer deutschen Großstadt standhielt.
Was er nicht sah, war die Mühe, die die Bewohner solcher Lofts da hinein steckten, den Lebensstil zu halten. Im Prinzip war er gut durchschnittlich zu nennen, und es kam mehr darauf an, was man daraus machte. Sie hatte als Künstlerin sehr viel daraus gemacht. Was sie mir präsentierte, war äußerst spannend.
Sie hatte mich wirklich beeindruckt, und ihre Persönlichkeit finde ich auf der künstlerischen Seite überragend. Sie wird hoffentlich irgendwann einmal eine große Rolle im Kunstleben der Welt spielen.
Er fuhr in unserer Unterhaltung (sinngemäß) fort:
"Na, wie das hier, das Appartement und der Lebensstil, zu Stande kommen?" Soweit ich eben aus ihrem harten Alltag wusste, war da hauptsächlich der Handel und die individuelle Ausstattung mit Mode. Da war sie gut, das hatte ich miterlebt, aber auch, wie sie das Geld zusammenhalten musste, um die Miete und alles andere bezahlen zu können. Natürlich hatte ich mein Scherflein zu der momentanen Wohnsituation beigetragen.
Darüber sprach ich kurz, wie ich das erlebt hatte. Da sagte er, nein, das komme aus der Prostitution.
Na ja, besser hätte er die Unterhaltung nicht abtöten können, und ich gab mir alle Mühe, das nicht nach außen sehen zu lassen. Ich ging dann kurz in die Küche, um ihr ein wenig Beistand zu leisten, in Wirklichkeit, um mich abzulenken. Nach ein paar Minuten ging ich zurück und wir tischten die restlichen Gänge auf.
Wir tranken eine Flasche Sekt, die ich besorgt hatte, und dann komplimentierten wir ihn hinaus.
Es tut weh, wenn man so tun muss, als sei nichts passiert, und in Wirklichkeit handelt es sich um eine große Verletzung.
Ich erzählte ihr davon, als wir am Tisch saßen und uns austauschten. Es musste einfach sein, und natürlich tat es ihr weh. Ich kann im Nachhinein nur hoffen, dass meine Anerkennung ihrer Person durch einen bildenden und Bühnenkünstler wie mich ihr darüber hinweg geholfen hat.
Die Deutschen sind dafür bekannt, dass sie wenig Einfühlungsvermögen besitzen. Über den Mangel an Umgang mit Gefühlen habe ich mich auch schon ausgelassen. Und obwohl man es immer wieder sieht und weiss, ist man erstaunt, dass es möglich ist, dass ein Mensch gar nichts von grundlegender Verliebtheit sowie von Ernsthaftigkeit wahrzunehmen in der Lage ist. Erstaunt über die grundlegende Ignoranz, die viele Deutsche besitzen, die längst Teil ihrer (Un-)Kultur ist.
Ich gebe zu, dass ich viele dieser Mängel früher ebenfalls aufgewiesen habe und bin dankbar dafür, dass ich mich daraus heraus entwickeln konnte. Immerhin hatte ich es mit dem Erbe der Nazis zu tun, und das wollte ich unbedingt abstreifen.
Das mangelnde Einfühlungsvermögen der Deutschen ist auch der Grund dafür, dass der treusorgende Botschaftsangestellte so viele Deutsche aus der Gosse ziehen muss. Sie haben gar kein Gefühl dafür, wie sie mit den Menschen hier umgehen müssen und lassen sich auch gar nicht auf sie ein.
Langsam hatten wir alles zusammen. Wir stimmten ab, was alles dazu gehören sollte, wie unser Vorgehen sein sollte, welche Papiere wir brauchten. Interessanterweise war das beidseitig, also beiden Familien gegenüber, eine Überraschungshochzeit.
Ihre Familie wurde praktisch an dem Tag, an dem ich in Yaoundé das erste Mal landete, also eine Woche vor dem Hochzeitstermin, der sich dann ergab, mit dem Vorhaben überrascht. Meine Familie wurde gar nicht gefragt, und ich hielt das auch nicht für so wichtig. Ich dachte einfach, dass meine Familie sich letztendlich freuen würde. Ich konnte mir das, was dann folgte, nicht vorstellen.
Ihre Familie wurde praktisch an dem Tag, an dem ich in Yaoundé das erste Mal landete, also eine Woche vor dem Hochzeitstermin, der sich dann ergab, mit dem Vorhaben überrascht. Meine Familie wurde gar nicht gefragt, und ich hielt das auch nicht für so wichtig. Ich dachte einfach, dass meine Familie sich letztendlich freuen würde. Ich konnte mir das, was dann folgte, nicht vorstellen.
...
Ich landete eine Woche vor Jahresende in Jaunde. Ich hatte viel gepackt, denn ich wollte die Afrikanerin wirklich gerne kennenlernen. Ich hatte selbstgemachte Konfitüre, viele Gläschen, mitgebracht: Erdbeere, Holunder, wilde Himbeere, Johannisbeere, alles gelungene Spezialitäten. Dann hatte ich noch meine älteren Mobiltelefone mitgenommen, und die waren auch der Hit. Dass fast alle dort auch mit meinem neuen N97 herumspielten, dass es nur so rauchte, war nicht vorgesehen. Bemerkenswerterweise aber haben sie die Inhalte, die ich da drauf hatte, nie angetastet.
Vor allem war es der vierzehnjährige Neffe meiner Zukünftigen, der vom alten N95 begeistert war. Ich hatte es nicht gerne aufgegeben, denn es hat in meiner Wertung bis heute die beste Navigatordarstellung, die ich je gesehen habe.
Aber als eines der Ersten mit Navigation war es ein Stromfresser, und ich musste, wenn ich mal wieder nächtens über die Alpen fuhr, das N95 ständig am Zigarettenanzünder lassen. Deshalb konnte ich es auch abgeben.
( Alle Hochzeitsfotos stammen vom eleganten N97 in weiß, mit herausklappbarer Tastatur und dieses Gerät trägt noch heute die vielen Hochzeitsfotos, die wir gemacht haben. Hochzeitsfotos einer jetzt wertlosen Hochzeit, eine traurige Veranstaltung. )
Aber damals verschwand das weisse N97 einfach, als wir nach dem Standesamt feierten. Die Beleuchtung ist meistens unzureichend, und ich wusste, dass das Telefon kreiste. Immer wieder tauchte es während der Feier auf, und so bekamen wir Fotos vom Ringezeigen, von den festlich gekleideten Menschen, vom geschmückten Haus und vom Anschnitt der Hochzeitstorte.
Meine Fotos von diesen zwei Wochen habe ich geliebt, so wie auch einige der Menschen, denen ich begegnete. Sie haben mir später gefehlt.
Ich hatte mich also sehr vorbereitet, die Impfungen waren im Jahr Null mit der Vorbereitung auf Abidjan schon im Sommer erledigt gewesen, aber es gab ja eine Menge anderes, wie Hochzeitskleidung und so zu organisieren. Hinzu kam, dass ich den Flughafen von Jaunde und die Verhältnisse dort noch nicht kannte. Dementsprechend verunsichert war ich, als ich da ankam.
Die Gelegenheit stand auch für etwas Besonderes. Bei uns in Deutschland hatte es einen Wintereinbruch gegeben, der meinen Flug ein weiteres Mal verzögerte, wie im Sommer, aber dieses Mal waren es die Naturgewalten, die dafür verantwortlich waren. Ich machte mich also auf den Weg, als noch nicht sicher war, wie man überhaupt aus Europa herauskam, aber ich dachte, dass die Situation sich nur verbessern konnte. Außerdem, wenn ich einmal in der Obhut von Air France war, würden sie sich schon um mich kümmern.
Statt also am ersten Weihnachtstag anzukommen, wie wir alle es gerne gehabt hätten, sie, ihre Familie und ich, stand ich am 25. morgens auf dem Frankfurter Flughafen. Und Air France schickte mich nach Casablanca, mit einer anderen Fluglinie. So kam ich aus Europa heraus, wo das Eis die meisten Flughäfen noch blockierte.
Etwas warten musste ich schon, alles hatte Verspätung und ich kam deshalb nachts um drei Uhr auf dem Flughafen in Jaunde an, schwitzend in der Tropenhitze, schwer beladen, bereit, alle Ausweise zu zücken. Den roten (Reisepass), den gelben (Gelbfieber), den weissen (Flugkarte etc.), und sogar etwas Schmiergeld hatte ich mir bereit gelegt. Man weiss ja nie.
Gepackt hatte ich nur Unverfängliches, nicht zu viel Computer, nichts Neues, um die Begehrlichkeiten nicht zu wecken. Ich wollte hierbei auf Nummer sicher gehen.
Jaunde war umständlich, ganz wie ich es erwartet hatte. Erst ein Schlag ins Gesicht durch den heißen Fön der tropischen Temperatur, als ich aus der Flugzeugtür trat. Dann dauerte es, bis ich mich durchgewühlt hatte, und meine Unsicherheit war groß. Kontrollen, Kontrollen und wieder Kontrollen. Je weiter weg der Staat von der restlichen Welt, desto mehr Kontrollen. Schließlich das Gepäckband. Am Ende stand sie da, auf den höchsten Absätzen, die je eine Frau für mich getragen hat. Ja, sie war unsicher, aber auch stolz und froh.
Ich wurde bekannt gemacht mit der ganzen Familie, so schien es mir. Sie war natürlich gleichzeitig zurückhaltend, schließlich ist man hier nicht so freizügig wie bei uns, aber die Frauen zeigen es durch die Kleidung, die sehr viel weiter geht und viel farbenfroher ist als bei uns. Und sehr viel besser ausgesucht, wie gesagt.
Mehr als ein Küsschen war nicht möglich und ich begrüsste die anderen, die ich noch gar nicht kannte. Die Internetverbindungen waren im Grunde katastrophal. Es war eine ganze Gruppe, an die zehn, und ich freute mich sehr. Mein Gepäck wurde mir abgenommen, und, wie in Abidjan, wurde ich in die Nacht hinausgeleitet. Hier war es nicht so staubig wie das erste Mal auf dem afrikanischen Kontinent.
Ich wurde zu einer Art Landrover geleitet, und dann saß ich inmitten der ganzen Menschen im Auto. Neben mir saß der schlagkräftigste, mein zukünftiger Schwager, und trotz meiner totalen Übermüdung begannen wir zu reden. Die Fahrt dauerte fast eine ganze Stunde, und am Ende waren wir sage und schreibe bei der Philosophie.
Was mir später noch deutlicher werden sollte: Diese Menschen waren gebildet und geistreich. Beides trifft man nicht so oft an. Nicht viele nutzen bei uns ihre Bildung zum Denken, sondern denken, dass danach nur der Beruf kommt. Hier war echtes Interesse, ja Begeisterung. Ich war begeistert.
Dieser Mensch war leitend im Strassenbau tätig, hier eine wichtige Position, denn das war ein wichtiges Feld. Seine Frau, meine zukünftige Schwägerin, hatte gleich drei Berufe, wie ich später erfuhr.
Wir wurden zu unserem Appartement gefahren. Es war großzügig und kostete auch so viel. Es hatte zwei Schlaf- und Badezimmer, war also fast ein Doppelappartement. Ihre andere, die zweite Schwester, ebenfalls älter als sie, ließ sich später im anderen Zimmer nieder.
Kamerun spielt in Schwarzafrika außerdem eine besondere Rolle, was die Bildung anbelangte. Aber auch in Abidjan hatte ich ja sehr interessante Menschen mit ausgeprägten Vorstellungen, mit der Offenheit des Esprits kennengelernt.
Trotz meiner Erschöpfung ging es am nächsten Tag weiter, und ich liebte es. Diesen Menschen war wichtig, was man sagte und dass man zu ihnen kam, um sich zu erklären. Das war wie für mich gemacht, und ich geniesse es heute noch in den afrikanischen Ländern, dass gilt, was man sagt und wer man ganz persönlich ist.
Ich musste mich der Familie stellen, denn meine zukünftige Frau hatte nur wenig vorher verkündet, dass sie sich zu verheiraten gedenke, und zwar mit mir. Dazu hatte ich ausserdem zu Weihnachten kommen wollen, um das Fest mit ihnen zu begehen, was nun reduziert wurde zu den notwendigen persönlichen Begegnungen.
Ich lernte ihre Mutter kennen, und diese Frau hat mich sehr beeindruckt. Sowohl ihre Mutter als auch ihre Schwester gefielen mir mit ihrer Schlagkraft so sehr, dass ich wusste, dass sie noch vor einigen Jahren von ihrer Persönlichkeit her meine Partnerinnen hätten sein können. Aber diese Zeit war vorbei, sie waren mir viel zu dominant, ich hatte mich entwickelt und wollte Anderes.
Mein Beuteschema war nun schwarz und nicht mehr blond. Ich weiß nicht, warum, aber ich assoziiere mit den zwei schwarzen Frauen, der Schwester und der Mutter, die Farbe blond. Wahrscheinlich, weil sie sehr westlich ausgerichtet waren. Meine Zukünftige aber pflegte den afrikanischen Ausdruck, ungebremst, Frisur und Kleidung. Zivilisiert nur dann, wenn das den Ausdruck verstärkte.
Ich hatte es gerne elegant und gleichzeitig kraftvoll. Weder die vornehme Zurückhaltung noch die Miniaturisierung der Persönlichkeit durch Coco Chanel, um sie in die Zivilisation einzupassen, liegen mir. Ich bin eine Wildsau, aber elegant.
Die waren alle auf dem westlichen Trip. Der sehr freundliche "kleine" Bruder hatte Elektriker gelernt und mal in einem Kraftwerk gearbeitet. Zur Zeit suchte er Arbeit. Ihre Schwester hatte, wie gesagt, drei Berufe. Sie war in erster Linie Chefsekretärin bei einem grossen kamerunischen Bauunternehmer, der sich auch gerne im europäischen Ausland aufhielt.
Er war mit zwei Frauen verheiratet und hatte sich scheiden lassen wollen, was ihm vom kamerunischen Recht (noch) verwehrt wurde. Er war sehr umgänglich und mit der Familie auch befreundet. Sie sahen sich oft und aßen auch zusammen. So später auch mit mir.
In ihr Büro, in der Mitte der Stadt gelegen, konnte wir jederzeit eintreten, und ihr Chef saß dann auch direkt nebenan. Sie hatte einen Computer, der allerdings sehr alt war. Über den hatten wir nicht kommunizieren können. Im Jahr Null war Kamerun definitiv hinter den anderen Ländern zurück, denn eine Videokonferenzbeziehung wie mit der Ivorerin hatte ich nicht mit ihr führen können. Und noch nicht mal das Büro dieses grossen Bauunternehmers war zeitgemäß ausgestattet.
Sie, die Chefsekretärin, ihre ältere Schwester, war ein Paradebeispiel für zwei Aspekte, die ich interessant finde. Einerseits konnte man sehen, dass sie genau so Chefsekretärin war wie eine Chefsekretärin bei uns, nur eben mit etwas anderen Mitteln. Aber die Struktur war im Grunde die selbe. Sie war oft abends und am Wochenende in Anspruch genommen und begleitete ihren Chef auf Reisen in ganz Kamerun. Sie sollte ihn demnächst auch nach Frankreich begleiten. Dafür bemühte man sich um ein Visum für sie.
Gleichzeitig hatte sie, wie gesagt, zwei weitere Berufe: Mannequin und Hostessendienst und Catering. Jaunde war die Hauptstadt eines nicht ganz unbedeutenden afrikanischen Staates, und in der Mitte der Stadt erhob sich das nicht eben kleine Konferenzgebäude. Viele grosse ausländische Firmen hatten hier Mitarbeiter angeworben und benötigten dafür Seminare, ebenfalls oft aus dem Ausland.
Für die Abwicklung brauchte man Unterstützung, unter anderem durch Hostessen. Dieser Dienst wurde auch von großen Hochzeitsgesellschaften in Anspruch genommen, und außerdem konnten die Hostessen als Mannequins arbeiten. Bei meiner Frau habe ich mir das einmal angesehen, und sie beherrschte das. Sie hatte außerdem eine grosse Anzahl von Kleidern, die sehr sorgfältig ausgesucht waren. Dito für Schuhe, was für mich ein Fest war.
Jeder richtige Mann weiß, das eine schöne Frau eigentlich nur zwei Dinge braucht: Schuhe und eine Perlenkette. Schuhe sind für eine Frau und an einer Frau etwas Besonderes. Ich spreche hier nicht von der unseligen Mode der Ballerinas, die die Frauen seit einiger Zeit ebenerdig latschen lässt. Man merkt bei ihnen allzu sehr, dass die meisten deutschen Frauen mit Absätzen nicht umgehen können, im Gegensatz zu fast allen Ländern um Deutschland herum.
Ich spreche von Absätzen, die ich in allen Arten, Formen und Farben an ihr kennenlernen konnte. Natürlich alles intelligent ausgesucht.
Es war ein Fest. Das war es, was ich leben wollte. Eine Frau mit Ausstrahlung und mit der richtigen Ausstattung.
Diese Familie war also in der Moderne angekommen. Die Mutter besaß anscheinend ein paar Häuser in guter Lage und war in dem alten Konzept der Sparkasse auf Gegenseitigkeit engagiert.
Die Menschen hier benutzten dieses Konzept aus dem neunzehnten Jahrhundert, das die Menschheit so weit gebracht hatte: Die Kasse auf Gegenseitigkeit. Sie hatten eine Association, also einen Verein von etwa fünfzig Personen, die regelmässig etwas einzahlten, und diese Kasse konnte dann dem Einzelnen für ein Projekt Geld geben. Oder auch, wenn dieser in Not war. Meine Zukünftige trug auch dort bei.
Ich bewunderte diese Menschen. Mit aller Zähigkeit und Fähigkeit hatten sie sich etwas aufgebaut und waren ziemlich weit gekommen. Sie hatten sich gebildet und ausgebildet und hatten sich gleichzeitig die innere Freiheit und die Freiheit des Denkens nicht nehmen lassen. Innerhalb einer Generation hatten sie es geschafft, in ihrem Land ganz weit vorne zu sein, wo ich sie sozusagen gut abpassen konnte.
In diese Struktur konnte ich mich perfekt einpassen. Einerseits verstand ich den Sinn dieses ganzen Systems, andererseits bot sich meine Arbeit als Freiberufler zur Zusammenarbeit an, die wir dann auch sehr bald anstrebten, ihre Schwester und ich. Sie kam sehr schnell drauf und sprach mich an.
Unsere Zukunft sah sehr vielversprechend aus. Ich freute mich, in dem neuen kulturellen und ökonomischen Feld zwischen Europa und Kamerun leben und arbeiten zu können.
Die Begegnungen am ersten Tag rissen nicht ab. Im inneren Kreis lernte ich dann noch eine Person kennen, die ich lange vermisst habe: Den zweiten Mann der Mutter.
Er hatte ein Wesen, dem ich mich anvertrauen konnte, ohne etwas zu sagen. Er sah, was passierte und sah hindurch, wusste, wie weit das eigentlich griff, was wir vorhatten. Ich konnte ganz einfach bei einem Bier mit ihm zusammen sitzen und froh sein. Ich fühlte mich aufgehoben. Ich habe ihn sehr vermisst.
Beim ersten Abschied, direkt nach der Hochzeit, kamen mir beim Abschiedsgespräch, natürlich bei einem Bier, die Tränen. Ich konnte sie nicht zurückhalten. Ich habe sehr selten in meinem Leben geweint, und ich weiss bis heute nicht, warum ich sie nicht zurückhalten konnte.
Er rührte mich. Vielleicht war es sogar so, dass er das Unheil ahnte, dass er spürte, dass eine ganze Reihe von Personen für eine wirkliche Entwicklung noch nicht reif waren und stattdessen die Abkürzung über einen illegalen Weg suchten, um zu ihrem Erfolg zu kommen. Vielleicht war es aber auch nur seine seelische Grösse, die ich spürte und das auch beim zweiten Abschied, anderthalb Jahre später.
Es war Weihnachten, ich breitete meine Geschenke aus, die ich auch in Abstimmung mit meiner Verlobten zusammengestellt hatte. Wir mussten ja auch die Familie beruhigen, die mit einer kurzfristig anberaumten Hochzeit ihres Nesthäkchens - sie war ja die jüngste der Schwestern - zurecht kommen musste. Abends sollte ich dem leiblichen Vater vorgestellt werden. Man könnte auch sagen, ich musste vor ihm bestehen.
Vor allem war es der vierzehnjährige Neffe meiner Zukünftigen, der vom alten N95 begeistert war. Ich hatte es nicht gerne aufgegeben, denn es hat in meiner Wertung bis heute die beste Navigatordarstellung, die ich je gesehen habe.
Aber als eines der Ersten mit Navigation war es ein Stromfresser, und ich musste, wenn ich mal wieder nächtens über die Alpen fuhr, das N95 ständig am Zigarettenanzünder lassen. Deshalb konnte ich es auch abgeben.
( Alle Hochzeitsfotos stammen vom eleganten N97 in weiß, mit herausklappbarer Tastatur und dieses Gerät trägt noch heute die vielen Hochzeitsfotos, die wir gemacht haben. Hochzeitsfotos einer jetzt wertlosen Hochzeit, eine traurige Veranstaltung. )
Aber damals verschwand das weisse N97 einfach, als wir nach dem Standesamt feierten. Die Beleuchtung ist meistens unzureichend, und ich wusste, dass das Telefon kreiste. Immer wieder tauchte es während der Feier auf, und so bekamen wir Fotos vom Ringezeigen, von den festlich gekleideten Menschen, vom geschmückten Haus und vom Anschnitt der Hochzeitstorte.
Meine Fotos von diesen zwei Wochen habe ich geliebt, so wie auch einige der Menschen, denen ich begegnete. Sie haben mir später gefehlt.
Ich hatte mich also sehr vorbereitet, die Impfungen waren im Jahr Null mit der Vorbereitung auf Abidjan schon im Sommer erledigt gewesen, aber es gab ja eine Menge anderes, wie Hochzeitskleidung und so zu organisieren. Hinzu kam, dass ich den Flughafen von Jaunde und die Verhältnisse dort noch nicht kannte. Dementsprechend verunsichert war ich, als ich da ankam.
Die Gelegenheit stand auch für etwas Besonderes. Bei uns in Deutschland hatte es einen Wintereinbruch gegeben, der meinen Flug ein weiteres Mal verzögerte, wie im Sommer, aber dieses Mal waren es die Naturgewalten, die dafür verantwortlich waren. Ich machte mich also auf den Weg, als noch nicht sicher war, wie man überhaupt aus Europa herauskam, aber ich dachte, dass die Situation sich nur verbessern konnte. Außerdem, wenn ich einmal in der Obhut von Air France war, würden sie sich schon um mich kümmern.
Statt also am ersten Weihnachtstag anzukommen, wie wir alle es gerne gehabt hätten, sie, ihre Familie und ich, stand ich am 25. morgens auf dem Frankfurter Flughafen. Und Air France schickte mich nach Casablanca, mit einer anderen Fluglinie. So kam ich aus Europa heraus, wo das Eis die meisten Flughäfen noch blockierte.
Etwas warten musste ich schon, alles hatte Verspätung und ich kam deshalb nachts um drei Uhr auf dem Flughafen in Jaunde an, schwitzend in der Tropenhitze, schwer beladen, bereit, alle Ausweise zu zücken. Den roten (Reisepass), den gelben (Gelbfieber), den weissen (Flugkarte etc.), und sogar etwas Schmiergeld hatte ich mir bereit gelegt. Man weiss ja nie.
Gepackt hatte ich nur Unverfängliches, nicht zu viel Computer, nichts Neues, um die Begehrlichkeiten nicht zu wecken. Ich wollte hierbei auf Nummer sicher gehen.
Jaunde war umständlich, ganz wie ich es erwartet hatte. Erst ein Schlag ins Gesicht durch den heißen Fön der tropischen Temperatur, als ich aus der Flugzeugtür trat. Dann dauerte es, bis ich mich durchgewühlt hatte, und meine Unsicherheit war groß. Kontrollen, Kontrollen und wieder Kontrollen. Je weiter weg der Staat von der restlichen Welt, desto mehr Kontrollen. Schließlich das Gepäckband. Am Ende stand sie da, auf den höchsten Absätzen, die je eine Frau für mich getragen hat. Ja, sie war unsicher, aber auch stolz und froh.
Ich wurde bekannt gemacht mit der ganzen Familie, so schien es mir. Sie war natürlich gleichzeitig zurückhaltend, schließlich ist man hier nicht so freizügig wie bei uns, aber die Frauen zeigen es durch die Kleidung, die sehr viel weiter geht und viel farbenfroher ist als bei uns. Und sehr viel besser ausgesucht, wie gesagt.
Mehr als ein Küsschen war nicht möglich und ich begrüsste die anderen, die ich noch gar nicht kannte. Die Internetverbindungen waren im Grunde katastrophal. Es war eine ganze Gruppe, an die zehn, und ich freute mich sehr. Mein Gepäck wurde mir abgenommen, und, wie in Abidjan, wurde ich in die Nacht hinausgeleitet. Hier war es nicht so staubig wie das erste Mal auf dem afrikanischen Kontinent.
Ich wurde zu einer Art Landrover geleitet, und dann saß ich inmitten der ganzen Menschen im Auto. Neben mir saß der schlagkräftigste, mein zukünftiger Schwager, und trotz meiner totalen Übermüdung begannen wir zu reden. Die Fahrt dauerte fast eine ganze Stunde, und am Ende waren wir sage und schreibe bei der Philosophie.
Was mir später noch deutlicher werden sollte: Diese Menschen waren gebildet und geistreich. Beides trifft man nicht so oft an. Nicht viele nutzen bei uns ihre Bildung zum Denken, sondern denken, dass danach nur der Beruf kommt. Hier war echtes Interesse, ja Begeisterung. Ich war begeistert.
Dieser Mensch war leitend im Strassenbau tätig, hier eine wichtige Position, denn das war ein wichtiges Feld. Seine Frau, meine zukünftige Schwägerin, hatte gleich drei Berufe, wie ich später erfuhr.
Wir wurden zu unserem Appartement gefahren. Es war großzügig und kostete auch so viel. Es hatte zwei Schlaf- und Badezimmer, war also fast ein Doppelappartement. Ihre andere, die zweite Schwester, ebenfalls älter als sie, ließ sich später im anderen Zimmer nieder.
Kamerun spielt in Schwarzafrika außerdem eine besondere Rolle, was die Bildung anbelangte. Aber auch in Abidjan hatte ich ja sehr interessante Menschen mit ausgeprägten Vorstellungen, mit der Offenheit des Esprits kennengelernt.
Trotz meiner Erschöpfung ging es am nächsten Tag weiter, und ich liebte es. Diesen Menschen war wichtig, was man sagte und dass man zu ihnen kam, um sich zu erklären. Das war wie für mich gemacht, und ich geniesse es heute noch in den afrikanischen Ländern, dass gilt, was man sagt und wer man ganz persönlich ist.
Ich musste mich der Familie stellen, denn meine zukünftige Frau hatte nur wenig vorher verkündet, dass sie sich zu verheiraten gedenke, und zwar mit mir. Dazu hatte ich ausserdem zu Weihnachten kommen wollen, um das Fest mit ihnen zu begehen, was nun reduziert wurde zu den notwendigen persönlichen Begegnungen.
Ich lernte ihre Mutter kennen, und diese Frau hat mich sehr beeindruckt. Sowohl ihre Mutter als auch ihre Schwester gefielen mir mit ihrer Schlagkraft so sehr, dass ich wusste, dass sie noch vor einigen Jahren von ihrer Persönlichkeit her meine Partnerinnen hätten sein können. Aber diese Zeit war vorbei, sie waren mir viel zu dominant, ich hatte mich entwickelt und wollte Anderes.
Mein Beuteschema war nun schwarz und nicht mehr blond. Ich weiß nicht, warum, aber ich assoziiere mit den zwei schwarzen Frauen, der Schwester und der Mutter, die Farbe blond. Wahrscheinlich, weil sie sehr westlich ausgerichtet waren. Meine Zukünftige aber pflegte den afrikanischen Ausdruck, ungebremst, Frisur und Kleidung. Zivilisiert nur dann, wenn das den Ausdruck verstärkte.
Ich hatte es gerne elegant und gleichzeitig kraftvoll. Weder die vornehme Zurückhaltung noch die Miniaturisierung der Persönlichkeit durch Coco Chanel, um sie in die Zivilisation einzupassen, liegen mir. Ich bin eine Wildsau, aber elegant.
Die waren alle auf dem westlichen Trip. Der sehr freundliche "kleine" Bruder hatte Elektriker gelernt und mal in einem Kraftwerk gearbeitet. Zur Zeit suchte er Arbeit. Ihre Schwester hatte, wie gesagt, drei Berufe. Sie war in erster Linie Chefsekretärin bei einem grossen kamerunischen Bauunternehmer, der sich auch gerne im europäischen Ausland aufhielt.
Er war mit zwei Frauen verheiratet und hatte sich scheiden lassen wollen, was ihm vom kamerunischen Recht (noch) verwehrt wurde. Er war sehr umgänglich und mit der Familie auch befreundet. Sie sahen sich oft und aßen auch zusammen. So später auch mit mir.
In ihr Büro, in der Mitte der Stadt gelegen, konnte wir jederzeit eintreten, und ihr Chef saß dann auch direkt nebenan. Sie hatte einen Computer, der allerdings sehr alt war. Über den hatten wir nicht kommunizieren können. Im Jahr Null war Kamerun definitiv hinter den anderen Ländern zurück, denn eine Videokonferenzbeziehung wie mit der Ivorerin hatte ich nicht mit ihr führen können. Und noch nicht mal das Büro dieses grossen Bauunternehmers war zeitgemäß ausgestattet.
Sie, die Chefsekretärin, ihre ältere Schwester, war ein Paradebeispiel für zwei Aspekte, die ich interessant finde. Einerseits konnte man sehen, dass sie genau so Chefsekretärin war wie eine Chefsekretärin bei uns, nur eben mit etwas anderen Mitteln. Aber die Struktur war im Grunde die selbe. Sie war oft abends und am Wochenende in Anspruch genommen und begleitete ihren Chef auf Reisen in ganz Kamerun. Sie sollte ihn demnächst auch nach Frankreich begleiten. Dafür bemühte man sich um ein Visum für sie.
Gleichzeitig hatte sie, wie gesagt, zwei weitere Berufe: Mannequin und Hostessendienst und Catering. Jaunde war die Hauptstadt eines nicht ganz unbedeutenden afrikanischen Staates, und in der Mitte der Stadt erhob sich das nicht eben kleine Konferenzgebäude. Viele grosse ausländische Firmen hatten hier Mitarbeiter angeworben und benötigten dafür Seminare, ebenfalls oft aus dem Ausland.
Für die Abwicklung brauchte man Unterstützung, unter anderem durch Hostessen. Dieser Dienst wurde auch von großen Hochzeitsgesellschaften in Anspruch genommen, und außerdem konnten die Hostessen als Mannequins arbeiten. Bei meiner Frau habe ich mir das einmal angesehen, und sie beherrschte das. Sie hatte außerdem eine grosse Anzahl von Kleidern, die sehr sorgfältig ausgesucht waren. Dito für Schuhe, was für mich ein Fest war.
Jeder richtige Mann weiß, das eine schöne Frau eigentlich nur zwei Dinge braucht: Schuhe und eine Perlenkette. Schuhe sind für eine Frau und an einer Frau etwas Besonderes. Ich spreche hier nicht von der unseligen Mode der Ballerinas, die die Frauen seit einiger Zeit ebenerdig latschen lässt. Man merkt bei ihnen allzu sehr, dass die meisten deutschen Frauen mit Absätzen nicht umgehen können, im Gegensatz zu fast allen Ländern um Deutschland herum.
Ich spreche von Absätzen, die ich in allen Arten, Formen und Farben an ihr kennenlernen konnte. Natürlich alles intelligent ausgesucht.
Es war ein Fest. Das war es, was ich leben wollte. Eine Frau mit Ausstrahlung und mit der richtigen Ausstattung.
Diese Familie war also in der Moderne angekommen. Die Mutter besaß anscheinend ein paar Häuser in guter Lage und war in dem alten Konzept der Sparkasse auf Gegenseitigkeit engagiert.
Die Menschen hier benutzten dieses Konzept aus dem neunzehnten Jahrhundert, das die Menschheit so weit gebracht hatte: Die Kasse auf Gegenseitigkeit. Sie hatten eine Association, also einen Verein von etwa fünfzig Personen, die regelmässig etwas einzahlten, und diese Kasse konnte dann dem Einzelnen für ein Projekt Geld geben. Oder auch, wenn dieser in Not war. Meine Zukünftige trug auch dort bei.
Ich bewunderte diese Menschen. Mit aller Zähigkeit und Fähigkeit hatten sie sich etwas aufgebaut und waren ziemlich weit gekommen. Sie hatten sich gebildet und ausgebildet und hatten sich gleichzeitig die innere Freiheit und die Freiheit des Denkens nicht nehmen lassen. Innerhalb einer Generation hatten sie es geschafft, in ihrem Land ganz weit vorne zu sein, wo ich sie sozusagen gut abpassen konnte.
In diese Struktur konnte ich mich perfekt einpassen. Einerseits verstand ich den Sinn dieses ganzen Systems, andererseits bot sich meine Arbeit als Freiberufler zur Zusammenarbeit an, die wir dann auch sehr bald anstrebten, ihre Schwester und ich. Sie kam sehr schnell drauf und sprach mich an.
Unsere Zukunft sah sehr vielversprechend aus. Ich freute mich, in dem neuen kulturellen und ökonomischen Feld zwischen Europa und Kamerun leben und arbeiten zu können.
Die Begegnungen am ersten Tag rissen nicht ab. Im inneren Kreis lernte ich dann noch eine Person kennen, die ich lange vermisst habe: Den zweiten Mann der Mutter.
Er hatte ein Wesen, dem ich mich anvertrauen konnte, ohne etwas zu sagen. Er sah, was passierte und sah hindurch, wusste, wie weit das eigentlich griff, was wir vorhatten. Ich konnte ganz einfach bei einem Bier mit ihm zusammen sitzen und froh sein. Ich fühlte mich aufgehoben. Ich habe ihn sehr vermisst.
Beim ersten Abschied, direkt nach der Hochzeit, kamen mir beim Abschiedsgespräch, natürlich bei einem Bier, die Tränen. Ich konnte sie nicht zurückhalten. Ich habe sehr selten in meinem Leben geweint, und ich weiss bis heute nicht, warum ich sie nicht zurückhalten konnte.
Er rührte mich. Vielleicht war es sogar so, dass er das Unheil ahnte, dass er spürte, dass eine ganze Reihe von Personen für eine wirkliche Entwicklung noch nicht reif waren und stattdessen die Abkürzung über einen illegalen Weg suchten, um zu ihrem Erfolg zu kommen. Vielleicht war es aber auch nur seine seelische Grösse, die ich spürte und das auch beim zweiten Abschied, anderthalb Jahre später.
Es war Weihnachten, ich breitete meine Geschenke aus, die ich auch in Abstimmung mit meiner Verlobten zusammengestellt hatte. Wir mussten ja auch die Familie beruhigen, die mit einer kurzfristig anberaumten Hochzeit ihres Nesthäkchens - sie war ja die jüngste der Schwestern - zurecht kommen musste. Abends sollte ich dem leiblichen Vater vorgestellt werden. Man könnte auch sagen, ich musste vor ihm bestehen.